Bingen: etwas (suchtartig, wie im Rausch) exzessiv am Stück konsumieren.
Andere Leute bingen TV-Shows oder Podcasts. Ich binge Bücher. Ich meine damit nicht, ein Buch nach dem anderen zu lesen. Das wäre ja völlig normales Verhalten – oder?
Nein, ich meine, fünf, sechs, sieben Bücher zu einem Thema oder von einem Autor, einer Autorin hintereinander zu lesen – das ist bingen.
Vor ein paar Monaten musste ich einfach plötzlich alles über Introversion wissen. Also habe ich alles bestellt, was der Buchhandel dazu hergegeben hat und ein Buch nach dem anderen gelesen. Sechs Bücher zum Thema „Drinnies“ am Stück. Bingen eben.
Bei Sachbüchern fällt beim Bingen schnell auf, wenn jemand abgeschrieben hat. Die gleichen Quellen werden zitiert, die selben Anekdoten beschrieben. Manchmal fällt es mehr auf, machmal weniger.
Besonders spannend finde ich aber die Beobachtungen, die ich beim Bingen von Romanen gemacht habe. Denn viele Roman-Reihen sind einfach nicht binge-able.
Vor einigen Jahren hatte ich einen enormen Hunger auf Thriller und habe angefangen, die Reihen von James Patterson zu lesen. Begonnen habe ich mit den Alex Cross Romanen und wollte mich von vorne nach hinten durcharbeiten. Die ersten beiden Bände habe ich verschlungen. Spannend, unterhaltsam, alles, was ich von einem Thriller erwarte.
Beim dritten Band hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl, das sich beim vierten Band erhärtete und beim fünften nicht mehr zu ignorieren war: Das habe ich doch schon einmal gelesen.
Natürlich ist der Plot in jedem neuen Buch ein anderer. Und doch ist das Muster, nach dem sie gestrickt sind so klar, dass es nach wenigen Bänden vorhersehbar wird. Und erklärt, warum ich heute nicht mehr zusammenkriege, um was es in welchem der Bücher genau ging.
Nach dem sechsten oder siebten Buch war für mich Schluss mit Alex Cross. Aber mit James Patterson war ich noch nicht durch. Und so fing ich mit dem Women’s Murder Club an.
Auch hier nichts als Spaß und Spannung in den ersten beiden Büchern. Und dann, spätestens nach Band 5 wieder das gleiche Gefühl von Deja Vu wie bei Alex Cross. Diese Erfahrung hat mir das Bingen von Roman-Reihen erst einmal vergällt.
Und erst vor kurzem habe ich es noch einmal gewagt und mir Fred Vargas’ Bücher über Kommissar Adamsberg vorgenommen. Innerhalb von wenigen Wochen habe ich mich von ‚Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord‘ bis ‚Der Zorn der Einsiedlerin‘ gebinged. Elf Romane. Und nicht einmal das Gefühl von Deja Vu.
Bei den Romanen von Fred Vargas spürt man, dass das Leben der Figuren im Fluss ist. Es verändert sich.
In vielen anderen Reihen ist das nicht der Fall. Die Figuren beginnen in einer bestimmten Konstellation und enden in der gleichen Position. Auch wenn sich zwischen der ersten und der letzten Seite Allianzen verschoben haben sollten, so kehrt am Ende doch alles wieder zu seiner ursprünglichen Ordnung zurück. So macht es nichts, wenn der geneigte Leser mal den ein oder anderen Band nicht liest. Oder gar in der Mitte einer Reihe erst einsteigt.
Bei Vargas ist das anders. Als ich die Adamsberg Krimis las, fehlten mir anfangs in meinem Stapel die Bände fünf und sechs. Und als ich versuchte, Band sieben zu lesen, tat ich mir schwer, weil ich das Gefühl hatte, ein Teil im Leben von Adamsberg und seinen Kollegen, verpasst zu haben. Ich kam nicht mehr mit. Ich hatte etwas verpasst, das ich nachholen musste, bevor ich voranschreiten konnte.
Was für ein Lese-Erlebnis!